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Ansgar Graw, 56, ist einer der profiliertesten Kenner der politischen Szene der USA. Seit 2009 arbeitete der Journalist und Publizist als US-Korrespondent der Tageszeitung „Die Welt“ und der Wochenzeitung „Welt am Sonntag“ in Washington, D.C.. Mitte des Jahres kehrte der „Potomaker„, so Graws Twitter-Name, nach Berlin zurück. Seit 1. Juli ist der gebürtige Essener Chefreporter von WeltN24*. Jüngst erschien im Herbig-Verlag sein neues Buch „Trump verrückt die Welt„.

Amerika wählt: Herr Graw, was steckt hinter dem Titel Ihres Buchs?

Ansgar Graw: Einerseits verrückt Trump das Selbstverständnis Amerikas, die Würde und das Ansehen des US-Präsidenten, all das, was bislang als Grundvoraussetzung für das Amt des Staatschefs galt. Dazu gehörte auch die Annahme, ein Politiker müsste vor der Kandidatur fürs Weiße Haus eine politische oder militärische Karriere hingelegt haben. Gleichzeitig verrückt Trump Dinge in der Geopolitik, die Gewichte zwischen Amerika und den Nato-Verbündeten beispielsweise. Oder die Gewichte zwischen den USA und Russland sowie den USA und China. Dazu kommt der Nahe Osten, wo Barack Obama als Präsident in den vergangenen Jahren versuchte, eine Balance zwischen den Saudis und den Iranern herzustellen. Trump hat sich bereits auf die Seite der Saudis gestellt.

Natürlich spielt der Titel auch auf die Frage an, ob dieser Mann im klinischen Sinne krank ist. Die Antwort, die ich in dem Buch gebe, ist, dass Trump offenbar ein extremer Narzisst ist, nicht aber ein krankhafter. Der Unterschied ist, dass extreme Narzissten uns krank machen, während krankhafte Narzissten selbst krank sind. Wichtig: Ich stütze mich bei der Beurteilung auf Gespräche mit Psychiatern und auf die Lektüre von Fernuntersuchungen.

Trump erste sechs Monate im Weißen Haus waren von Chaos und öffentlich ausgetragenen Machtkämpfen geprägt. Sind Sie überrascht?

Ansgar Graw (Credit: Privat)

Ansgar Graw in Washington, D.C. (Credit: Privat)

Nicht wirklich. Trump setzt als Präsident das fort, was er schon im Wahlkampf geboten hat. Stichwort „Pussy-Grabscher“. Viele haben gedacht, dass das nur Show ist, dass Trump Wählerstimmen will und im Amt reifer und präsidialer werden würde. Mittlerweile ist klar: Er macht genauso weiter.

In dem Buch schreiben Sie, dass auch Obamas Political Correctness Trumps Sieg möglich gemacht hat. Was meinen Sie? 

Ich glaube, dass viele Menschen in Amerika, möglicherweise eine wahlentscheidende Minderheit, zuletzt genervt waren, dass manche politischen Dinge einfach nicht mehr ausgesprochen werden durften. Obama weigerte sich beispielsweise, vom islamistischen Terror zu sprechen. Oder sein Lob für das Aussehen der kalifornischen Politikerin Kamala Harris, für das er sich nach einem Shitstorm im Internet entschuldigen musste.

Dieser verdruckste Umgang mit Selbstverständlichkeiten störte viele Amerikaner. Ein Mann oder eine Frau im Mittleren Westen haben für solche Dinge in der Regel kein Verständnis. Trump erkannte das. Natürlich ist er völlig über das Ziel hinausgeschossen. Das umstrittene Einreiseverbot für mehrheitlich muslimische Länder machte das deutlich. Wäre Obama in seiner Amtszeit etwas entspannter mit gewissen Begrifflichkeiten umgegangen, hätte er vielen Amerikanern das Gefühl genommen, dass der Präsident versucht, manche Dinge zu vernebeln.

Die Republikaner wirken Trump gegenüber passiv, die Demokraten wie gelähmt. Wie geht es mit beiden Parteien weiter? 

Der Zustand der Republikaner ist in der Tat bedenklich. Trump bekam als Präsident zunächst viel Unterstützung, weil zahlreiche Senatoren und Kongressabgeordnete Angst hatten, als Querulanten bei den Zwischenwahlen im kommenden Jahr abgestraft zu werden. Da reichte schon ein Tweet von Trump aus, um einige Politiker in Aufruhr zu versetzen. Das hat sich etwas geändert – vor allem in umkämpften Staaten und Bezirken. Einige Konservative distanzieren sich von Trump. Sollte er im Amt weiterhin so erratisch agieren, dürfen die Demokraten 2018 auf eine Belohnung und zusätzliche Sitze im Kongress hoffen. Das muss aber nicht so kommen. Entscheidend ist, ob Trumps Politik erfolgreich sein wird. Bislang war das nicht der Fall. Die gescheiterte „Obamacare“-Abstimmung ist das beste Beispiel dafür.

Das nächste große Projekt der Republikaner ist eine Steuerreform. Ich gehe davon aus, dass die Partei da mitmachen wird. Schließlich geht es auch um Erleichterungen für die Mittelklasse. Das könnte sich für Trump also auszahlen. Dazu kommt der Arbeitsmarkt, der anzieht. Das war schon während Obamas Amtszeit der Fall, aber bei Trump hat sich die Entwicklung verfestigt und beschleunigt. Sein Kampf gegen die Überregulierung hat Kräfte freigesetzt, die Mittelklasse hat neues Selbstvertrauen. Setzt sich das fort, ist es möglich, dass die Republikaner die Zwischenwahlen gewinnen und Trump 2020 im Amt bestätigt wird. Für die Demokraten wäre das eine Blamage.

Welche Lehren sollten die Demokraten aus Hillary Clintons Niederlage ziehen?

Cover "Trump verrückt die Welt" Herbig-Verlag

Ansgar Graw: Trump verrückt die Welt. Herbig-Verlag, Stuttgart 2017. 240 Seiten, 20 Euro.

Die Partei sollte Andrew Jacksons Aufstieg zum US-Präsidenten im frühen 19. Jahrhundert studieren. Bei ihm gab es erstaunliche Ähnlichkeiten zu Trump. Auch Jackson zog gegen die Political Correctness ins Feld, auch er verstand es, eine Stimmung in der Bevölkerung aufzugreifen. Viele Intellektuelle empfanden ihn ebenfalls als Zumutung. All das ist vergleichbar mit Trumps Forderung, den Washingtoner „Sumpf auszutrocknen“. Die Demokraten müssen einsehen, dass „America first“ eine weit verbreitete Geisteshaltung und politische Grundstimmung in den USA ist. Ich gehe davon aus, dass dieser Begriff nicht so schnell aus der US-Politik verschwinden wird.

*Der Verfasser dieses Interviews ist ebenfalls bei WeltN24 angestellt.

Credit: Flickr/Gage Skidmore

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